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Dorothea Rosa Herliany und Afrizal Malna in Lesung und Gespräch mit Ulrike Draesner
(Lesungen auf Indonesisch und Deutsch)
Geöffnet ab 20:00 Uhr, Beginn um 20:30 Uhr | Eintritt frei
Indonesien – der größte Inselstaat der Welt und 2015 Ehrengast der Frankfurter Buchmesse – bietet zwar eine beeindruckend vielfältige und beeindruckend alt überlieferte Literatur, doch ist diese im Westen noch immer eine terra incognita. Auch der Name der 1963 in Zentraljava geborenen Schriftstellerin und Lyrikerin Dorothea Rosa Herliany sowie des 1957 in Jakarta geborenen Dichters, Performance-Künstlers und studierten Philosophen Afrizal Malna ist in Deutschland bis dato nur wenigen ein Begriff. Beide gehören sie zur sogenannten „zweiten Generation“ indonesischer Schriftsteller, die den postkolonialen Weg ihres Landes kritisch begleiten. Dorothea Rosa Herliany als Poetin, die alle Regeln auf den Kopf stellt, die gemäß der patriarchalischen Geschlechtervorstellung und der religiös codierten Gesellschaft ihrer Herkunftskultur für sie als Frau gelten müssten: In ihren Gedichten ist die Frau nicht die Unterworfene, sie wird bei ihr zur Jägerin, die sich nun ihrerseits den Mann untertan macht. Afrizal Malna als ein Zweifler an der Sprache, der die Arbeit an und mit der Sprache zugleich zu seiner stärksten Waffe erhoben hat, um Indonesiens langen und von sozialen wie politischen Verwerfungen begleiteten Weg in die Moderne immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. Denn die „Sprache ist ein Monster, das Kommunikation erzeugt und sie zugleich durchkreuzt.“
Dorothea Rosa Herliany, *1963 in Zentraljava, ist nicht nur eine der wenigen weiblichen Stimmen indonesischer Gegenwartslyrik - sie ist zugleich auch die derzeit wichtigste und ungewöhnlichste Schriftstellerin der sogenannten „zweiten Generation“ indonesischer Schriftsteller. Diese wuchs in einem postkolonialen Indonesien heran – 1945 hatte die drittgrößte Demokratie der Welt die Unabhängigkeit von den Niederlanden erlangt. Herlianys Generation hatte also weder die koloniale Unterdrückung seitens der Niederländer noch den kämpferischen Furor der Gründergeneration erlebt; für sie war es selbstverständlich, indonesisch zu sein und sich in der indonesischen Sprache auszudrücken. Herliany sorgte auf der Bühne der indonesischen Literatur gleich mit ihrem ersten, 1987 veröffentlichten Gedichtband „Nyanyian Gaduh“ (lärmende Songs) für Furore. Denn da war plötzlich eine Frau, die ihre Stimme erhob: laut und vernehmlich, in einer Gesellschaft, in der Frauen als untergeordnet gelten und zu schweigen haben – und die Dinge aussprach, über die man in ihrer Herkunftsgesellschaft eigentlich nicht spricht: über die Sexualität, über den Körper der Frau, über Gewalt gegen Frauen, über gesellschaftliche und soziale Ungleichheit, über politischen Machtmissbrauch. Sprich: Herliany stellt als Poetin alle Regeln auf den Kopf, die gemäß der patriarchalischen Geschlechtervorstellung und der religiös codierten Gesellschaft ihrer Herkunftskultur für sie als Frau gelten müssten.
Doch auch wenn Herliany ihre Gesellschaft aus weiblicher Sicht kritisch befragt und die überlieferten Geschlechterverhältnisse als veraltet anprangert, wäre es dennoch unangebracht, sie als eine im westlichen Sinne „feministische“ Autorin zu bezeichnen. Sie selbst hat diese Kategorisierung stets abgelehnt. Ihr geht es nicht um Selbstbespiegelung, sondern darum, denen eine Stimme zu verleihen, die sich oftmals kein Gehör verschaffen können. Zwar spricht sie „kämpferisch“ mit der Stimme von Frauen – erhebt aber letztlich die Frage nach einer egalitären Gesellschaft jenseits jeglicher Dichotomien und damit nach einem menschenwürdigen Leben in einem utopischen wortwörtlichen „no-man’s-land“.
Ihre Sprache ist oft schockierend direkt, aber trotz aller bewussten Provokation nie vulgär, oftmals sogar von einer subtilen und erstaunlichen Zärtlichkeit. Auch ihre politisch motivierten Gedichte, in denen Herliany sich mit den problematischen Aspekten der turbulenten und schwierigen jüngeren Geschichte Indonesiens auseinandersetzt, kommen eher auf leisen Füßen daher. Fast nie haben sie den Charakter politischer Pamphlete – man muss vielmehr den historischen Kontext der jeweiligen Situationen kennen, auf die sie eher zwischen den Zeilen Bezug nimmt. „Ein Tag im Juli“ etwa spielt auf den 27. Juli 1996 an, als General Suharto, der das Land von 1967 bis 1998 diktatorisch regierte, einen Anschlag auf die Anführerin der oppositionellen demokratischen Partei autorisierte. Herliany wurde Zeugin, wie die Miliz kurze Zeit später eine Menge friedlicher Demonstranten brutal niederschlug. „Ein Tag im November“ wiederum erzählt in einer Art Negativbelichtung von jenem Moment, in dem Suharto am 21. Mai 1998 seine Macht abgab: „a radio broadcast, morning, newspapers on the table / i heard nothing, the telefone rang / the postman came. ... life moved from sunshine to shadow / from wakefulness to the world of dreams / orming boring lines of notes / pages of trash not worth keeping“.
Herliany – die in ihrer Heimat alle wichtigen Literaturpreise erhielt – überschreitet mit ihren so bildmächtigen wie letztlich allgemeingültigen Gedichten tatsächlich Grenzen: nicht allein die ihrer Heimat, sondern auch jene zwischen den Kulturen – auf der Suche nach einer globalen condition humaine.
Veröffentlichungen in deutscher Sprache:
Schenk mir alles, was die Männer nicht besitzen. Bilingual und multimedial dargebotene Gegenwartslyrik einer indonesischen Autorin. Aus dem Indonesischen von Berthold Damshäuser. Illustrationen von Damtoz Andreas. Vorwort von Martin Jankowski. Umgesetzt und herausgegeben von Martina Claus-Bachmann. ulme-mini-verlag, Giessen 2009.
Afrizal Malna, *1957 in Jakarta und dort noch immer beheimatet, erweist sich in seinen Gedichten – „körperliche Begegnungen mit dem urbanen Raum“, so der in Jakarta lehrende Wissenschaftler und Übersetzer Andy Fuller – als Zweifler an der Sprache, der die Arbeit an und mit der Sprache zugleich zu seiner stärksten Waffe erhoben hat, um Indonesiens langen und von sozialen wie politischen Verwerfungen begleiteten Weg in die Moderne immer wieder auf den Prüfstand zu stellen.
„Sprache ist ein Monster, das Kommunikation erzeugt und sie zugleich durchkreuzt“, so schreibt der studierte Philosoph Malna mit dem ihm eigenen rätselhaften Witz im Vorwort seines Gedichtbandes "Second Hand Language Store A and B" (2012): Warum – so heißt es dort – erfinden Menschen die Sprache, um mit Menschen zu sprechen? Allemal, da Sprache immer ein Problem sei – und Probleme die menschliche Sprache zu sein scheinen. In all seinen Gedichten reflektiert, nein, erforscht er daher das vertrackte Verhältnis von Sprache, Körper und Raum.
Der philosophisch grundierte Witz seiner Gedichte paart sich dabei sowohl mit einer großen Sinnlichkeit als auch politischem Hintersinn. Tatsächlich wurzelt sein Sprachverständnis in der politischen Literatur: Dieser hatte Malna sich schlagartig verschrieben, nachdem auch sein Haus im Januar 1974 im Zuge der tödlich endenden Studentenproteste gegen Suhartos „New Order“-Doktrin von Sicherheitskräften durchsucht worden war. In den 80er und 90er Jahren war er Mitglied des Theaters Sae, das wie viele andere Gruppierungen der damals blühenden Avantgarde-Szene dem Regime Suhartos mit den Mitteln der Kunst Widerstand leistete, indem es den gesellschaftlich Entrechteten und Marginalisierten Gehör und Raum verlieh. In den 90er Jahren engagierte Malna sich zudem kurzzeitig in der Aktivistengruppe Urban Poor Consortium, die bis heute Kritik übt am mangelnden Wohnraum für die Ärmsten der Armen.
Wenn Malna, der auch Theaterkritiker ist und Romane schreibt, über den Körper im Raum nachdenkt, meint er also etwas äußerst Konkretes – auch, wenn seine Gedichte inzwischen in einem eher spielerischen Gewand daher kommen. Man lese nur die Titel, die da lauten: Anthropologie einer Coca-Cola-Dose; Aktiv-Aktivitäten der Eisklötze; Müllverbrennung, die rote Schreibmaschine. Tatsächlich geht Malna immer von einem einzelnen Alltagsobjekt aus – um seine Leser dann rasch mit irritierenden Satz- und Sinnbrüchen zu konfrontieren, die das vermeintlich Vertraute fremd und rätselhaft erscheinen lassen. Als „Wesen zwischen Prosa und Poesie“ (so Ulrike Draesner, die einige Texte Malnas ins Deutsche übersetzte) verfährt Malnas Lyrik syntaktisch: Satz nach Satz – oder sollte man sagen: Satz gegen Satz? Denn die Abfolge erscheint nicht linear, sondern sprunghaft wie die Syntax selbst.
Seine Gedichte prangern die grassierende Arbeits- und Perspektivlosigkeit ebenso an wie Korruption und die „Leichenpolitik“ der indonesischen Regierung; es geht ihm um Umweltzerstörung und allgegenwärtige Gewalt: „Menschen werden vergewaltigt. Das Land wird vergewaltigt. Die Erde wird vergewaltigt.“ (aus: Leichenpolitik, von Morgenzeitung vertuscht). Seine Sprache hat Malna zu diesem Zwecke verwandelt in einen wendigen Körper, der sich zur Wehr setzt gegen Bürokratisierung und Willkür, gegen Überformung und Uniformität, gegen Dogma und Verbot: „Die jungen Leute wissen, dass ihre Körper unnummerierte Eisblöcke sind. Sie schmelzen, um zu poppen. Sie schmelzen, um einen Job zu ergattern. Sie schmelzen, um sich Schuhe zu kaufen. Und werden wieder zu Eisblöcken. Sie werden Eisklötze, um zu schmelzen. Sie werden Eisklötze, um ins Haus zu treten. Sie werden Eisklötze, um zur Schule zu gehen. Sie gefrieren und schmelzen wie Wasser, das ins Eisfach geschoben wird.“ (aus: Aktiv-Aktivitäten der Eisklötze)
Veröffentlichungen in deutscher Übersetzung:
Silke Behl/Ulrike Draesner: Er steht da und beginnt zu sprechen. Über Afrizal Malnas Gedichte. In: Sprache im technischen Zeitalter. 204 / Dezember 2012, S. 491-504.
Eine Veranstaltung des Berliner Künstlerprogramms des DAAD in Kooperation mit ausland.
Über D.R. Herliany und A. Malna: Claudia Kramatschek (leicht abgeändert und gekürzt).